Bühne und TV
Frauengesichter (Interview)

Frauengesichter wurde im Rahmen der Kulturwoche in Düsseldorf und anschließend auf der Bühne des Kulturzentrums Zeche Carl in Essen im März 1992 gezeigt. Beatrice Marotzki nahm dies zum Anlaß, ein Interview mit Nassim zu führen.

Beatrice Marotzki: Die Szenen deines Tanzstückes sind in verschiedenen Tanzstilen gestaltet; du stellst den Orientalischen Tanz zwischen Folklore aus Asien und Europa, aber auch modernen Tanz. Welche Idee steckt dahinter?

NASSIM*: Ich habe viele Tänze und Programm kreiert, in denen ich mit meinen ZuschauerInnen „ein orientalisches Fest feiere“ und die Lebensfreude und Kommunikation mit dem Publikum im Mittelpunkt steht. In dem Tanzstück „Frauengesichter“ möchte ich andere Themen gestalten: Einsamkeit, Verletzbarkeit, unerfüllte Liebe, aber auch Würde, Weisheit, Wissen von Frauen: So entstanden verschiedene Figuren (u.a. die Priesterin, der Vamp, die Säbelkämpferin) mit unterschiedlichem sozialen Kontext – das erforderte andere Musik und andere Ausdrucksformen.

Beatrice Marotzki: Welche Rolle spielt das choreographische Moment bei Deiner Arbeit?

NASSIM*: Freies Tanzen ist situationsabhängig; professionelles Tanzen erfordert gleichbleibende Qualität. Dazu müssen Aussage und Form einer Vorstellung durchdacht, mehrfach überarbeitet und festgelegt werden. Ich habe mir dazu immer auch den Rat anderer Künstlerinnen geholt – an den „Frauengesichtern“ z.B. hat die Regisseurin Berna Uythof mitgearbeitet.

Beatrice Marotzki: Wie reagiert das Publikum auf Dein Tanzstück?

NASSIM*: Viele ZuschauerInnen reagieren überrascht auf dieses „Kaleidoskop“ aus Musik- und Tanzstilen, überrascht und nachdenklich. Ich konfrontiere sie mit ernsten Themen, lasse sie gewissermaßen einen „Blick in den Spiegel werfen“. Dazu nutze ich ein Mittel der Bühne: die Distanz. Das ist weniger kommunikativ als Vorstellungen allein mit orientalischem Tanz, womöglich auf der Tanzfläche „mitten unter den Leuten“ – die Distanz erzeugt eine ganz andere Stimmung, die meine Intention unterstützt, verborgenes zu zeigen, nachdenklich zu stimmen. Und ich bekomme viele positive Rückmeldungen.

Beatrice Marotzki: Du hast dich unter anderem mit Modern Dance und Flamenco beschäftigt – was hat bewirkt, dass der orientalische Tanz dein „Favorit“ wurde?

NASSIM*: Es war die Erfahrung, dass ich im Orientalischen Tanz meinen ganzen Körper – gerade auch die bei uns tabuisierten Körperzonen – durch spielerische Bewegungen wiederentdecken konnte. Das war lustvoller als viele andere Tanztechniken. Nun hatte ich das Glück, dass in dem Moment, in dem ich dies für mich entdeckte, in der Werkstatt in Düsseldorf unter Leitung von Erika Kwiatkowski/Nahema ein zweieinhalbjähriges Fortbildungsprojekt eingerichtet wurde. So begann meine Ausbildung sehr engagiert und konzentriert. Mit dieser Fortbildungsgruppe habe ich dann übrigens später meine ersten Bühnenerfahrungen gesammelt.

Beatrice Marotzki: Wann und warum hast Du Dich entschieden, hauptberuflich als Tänzerin zu arbeiten?

NASSIM*: Das war wie ein Sog: immer mehr Anfragen, ob ich nicht tanzen könnte, ob ich nicht unterrichten wollte, meine ersten Soloauftritte... Mein erster Beruf – ich bin Diplom Sozialpädagogin und Psychtherapeutin (Gestalttherapie) – ließ mir dazu nicht genügend Zeit. So habe ich mich vor etwa fünf Jahren für das Tanzen entschieden.

Beatrice Marotzki: Wie findet eine Europäerin Zugang zum orientalischen Tanz?

NASSIM*: Es ist sicher so, dass wir mit dem orientalsichen Tanz zunächst einmal sehr romantische Vorstellungen vom Orient, von seiner Lebensfülle und Sinnlichkeit verbinden. Auf meinen Reisen in die Ursprungsländer des Orientalischen Tanzes habe ich dann den kulturellen Hintergrund dieses Tanzes kennengelernt. Ich weiß jetzt, dass ich immer nur „Besucherin“ des Orients war und bleiben werde, weil ich dort mit meiner Mentalität meiner Vorstellung vom meinem Leben dort nicht leben könnte. Ich kann und will meine europäische Identität nicht verleugnen, auch nicht in meinem Tanz. Im übrigen betrachte ich mich in Bezug auf den Orientalischen Tanz und seinem Kulturkreis immer wieder als Lernende.

Beatrice Marotzki: Nun die unvermeidliche Frage nach der Authentizität: Hälst Du es für erlaubt, vielleicht sogar für nötig, dass sich der Orientalische Tanz verändert, wenn er von Europäerinnen adaptiert wird?

NASSIM*: Tanz ist etwas Kreatives. Er verändert sich – wie die Menschen selbst auch. Die Menschen haben schon immer aus anderen Kulturen übernommen, was sie dessen für wert hielten. Und Tanz ist etwas Interkulturelles – es ist Körpersprache, die überall verstanden wird. Ich weise auf die Wurzeln des orientalischen Tanzes hin und erläutere den Entstehungsprozeß der heutigen Formen. Ich respektiere, wenn Tänzerinnen traditionelle Formen pflegen – wenn sie damit Vertreterinnen anderer Formen auszugrenzen und abzuwerten suchen, schaden sie damit meiner Ansicht nach dem Tanz. Ich denke, dass es „das Orientalische“ nicht gibt: Jede Tänzerin ist individuell, hier wie da.

Beatrice Marotzki: Wie würdest Du Deine Ansprüche an eine gute orientalische Tänzerin formulieren?

NASSIM*: Sie sollte die Körpersprache des Tanzes, die Technik beherrschen, sollte wissen, was sie ausdrücken will und sollte diesen Ausdruck kontrollieren können. Sie sollte sich dessen bewusst sein, dass sie ein Frauenbild in der Öffentlichkeit präsentiert. Ich wünsche mir, dass sie dabei würdevoll auftritt und ihre individuelle Interpretation der Musik, der Bewegung findet – dazu sind Stolz und Selbstwertschätzung nötig.

Beatrice Marotzki: Was ist Dir als Lehrerin des Orientalischen Tanzes wichtig?

NASSIM*: Ich möchte, dass die Teilnehmerinnen in meinen Kursen ein neues Körpergefühl für sich entdecken, dass sie ihre Sinnlichkeit, ihre Weiblichkeit bejahen lernen. Wichtig ist mir auch, dass sie sich Gedanken machen daüber, wie sie mit diesem „Neugewinn“ umgehen, was sie daraus machen wollen.

Beatrice Marotzki: Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für die Zukunft

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